beyerdynamic Lagoon ANC (Traveller/Explorer)

(22.07.2019 00:00 CET)

„Mama, ich will diesen Kopfhörer!!!“ Es kommt selten vor, dass ein klassischerweise mit so wenig Alleinstellungsmerkmalen versehenes Gerät wie ein Kopfhörer für solche Freudenschreie sorgt. Im Falle des beyerdynamic Lagoon ANC (Traveller/Explorer) allerdings – das dem Test schon einmal vorweggenommen – ist das der Fall. Traveller und Explorer unterscheiden sich nur durch die Farbe der Polster (Traveller schwarz, Explorer braun). 

Das Thema „Alleinstellungsmerkmal“ nochmal aufgegriffen: Treiber, Tragekomfort, Klangregulierung: Die Standardparameter eines Kopfhörers variieren natürlich nach Hersteller und Qualität, sind aber eher „langweilig“. Tester und Hersteller haben nun in den letzten Monaten das eigentlich schon ad acta gelegte ANC-Thema entdeckt. Active Noise Cancellation, also die elektronisch durchgeführte Aufnahme des Umgebungsgeräuschs und die aktive Erzeugung von Gegenwellen. Eigentlich eine Domäne von Bose, die mit den Quiet Comfort-Modellen seit Jahren steter Begleiter von Reisenden sind. Leider mit eher dumpfem Klang. 2019 konnte dann Sony mit den WH-1000XM3 endlich eine Kombination aus Klang und hervorragendem ANC punkten. Bisher eine kaum zu findende Konstellation.

Nun hat auch beyerdynamic das Thema entdeckt. Da ist der reizüberflutete Reviewer schnell geneigt, sich auf „Wow… ein weiterer Vertreter des Genres!“ zurückzuziehen. Obacht! Das springt zu kurz und verweigert beyerdynamic die Wertschätzung, die man bei der Gestaltung der Lagoon-Serie verdient hat.

Haken wir das Thema Klang als erstes ab: Endlich! Bose war für mich immer das Aquariumglas unter den Kopfhörern. Langweilige Bässe, verwaschene Höhen, überbetonte Mitten. Wenig audiophil also. Die Sony WH-1000XM3 waren hier schon einen Schritt weiter, allerdings noch immer nicht vollständig zu meiner Zufriedenheit. Zum Verständnis: Meine Historie zu favorisierten OverEars: Bowers & Wilkins P7, PX, aktuell beyerdynamic Amiron Wireless. Da verwundert es vielleicht nicht, dass die Lagoon meinen Klanggeschmack treffen. Schon in der Standardeinstellung (mehr dazu gleich) haben sie einen ausgewogenen, warmen Klang. Allenfalls würde mir ein Hauch mehr Bass besser gefallen. Das ist allerdings natürlich erreichbar über Equalizer-Einstellungen, und auch ohne ist der Bass deutlich hörbar. Eher eine Frage der Klangpräferenz also.  Was mich fasziniert: Die Soundstage, also die Breite des Klangs auf einer virtuellen Bühne, ist für einen „kleinen“ Kopfhörer unglaublich breit. Dreimal mich selbst hinterfragt und trotzdem bei der Aussage geblieben: der Lagoon steht dem Amiron Wireless nicht allzuviel nach. Einem Kopfhörer, der in einer ganz anderen Liga spielt (und klanglich bei entsprechendem Quellmaterial durchaus auch anders performt).

Die Lagoons unterstützen AptX, AptX Low Latency (wichtig für Filme/Spiele, weil nur marginale Latenz zwischen Bild und Ton aufkommt), SBC und AAC. Leider kein AptX  HD, was für die Ausnutzung höherer Auflösung bei FLAC-/MQA-Quelldateien relevant wäre. Das ist sicherlich der Portabilität geschuldet: In Situationen, wo man ANC gebrauchen kann, ist der Fokus auf Klangdetails eher untergeordnet.

Was aber dem Klang noch einmal einen Schub verschafft, ist die Klangpersonalisierung. Während Sony und B&O hier nur eine manuelle Anpassung zulassen, geht beyerdynamic (wie schon bei Amiron und Xelento Wireless) einen anderen Weg.  Die MOSAYC-Klang-Personalisierung sorgt dafür, dass die Musik so beim Hörer ankommt, wie sie gedacht war.

Über die Jahre verändert sich unser Gehör.  Bestimmte Frequenzen hören wir dann besser, andere schlechter, und das verändert die Klangwahrnehmung. Die MOSAYC-App greift dies auf, in dem sie – getrennt nach Ohren – eine Serie an Frequenzen abspielt. Sobald Sie einen Ton hören, bestätigen Sie dies auf dem Display des Smartphones. Anhand der so erhaltenen Hörwerte kann die Software dann ein Hörprofil erstellen, das die Lautstärke der jeweiligen Frequenzen ganz individuell auf das Hörvermögen des Besitzers anpasst. Das Profil wird in den Kopfhörer übertragen.

Ich bin dabei: Das klingt auf den ersten Blick wie Löffelverbiegen per Geisteskraft. Fakt aber ist, das der Klang spürbar besser wird. Und dass ein Dritter, der das eigene Klangprofil vorgesetzt bekommt, von durchschnittlichem Klang spricht. Bis er dann seine eigene Personalisierung macht. 35 Jahr Metal, das hat Auswirkungen auf meine Ohren gehabt. Und so ist der Unterschied zwischen Fabrik-Einstellung und personalisiertem Klang deutlich hörbar. Bei meinem Sohn, der deutlich weniger Konzertjahre auf dem Buckel hat, ist der Effekt deutlich geringer. Ein weiteres Zeichen, dass es sich hier um tatsächliche Technik, nicht um esoterisches Gesabbel handelt.

ANC ist ein Thema, das vom Grundsatz her für mich eher nachgelagert ist. Im Flieger gerne genommen, denn da sind die Geräusche laut und störend. Im Normalbetrieb brauche ich es nicht unbedingt. Zumal es den Klang oft gefühlt verschlechtert. Nicht aber bei den Lagoon: Gefühlt ist der Klang sogar besser als ohne ANC. Auch wenn der Einsatz die Akkulaufzeit auf (gemessene) 22 Stunden verkürzt von (laut Liste) 45 Stunden ohne ANC. Das reicht immer noch für einen Interkontinentalflug. Allerdings: Für wen ANC der Kern der Anschaffung ist, der sollte zumindest nicht blind kaufen. Auch auf der höchsten, zweiten Stufe ist die Wirkung von ANC hörbar geringer als bei Bose und Sony. Immer noch spürbar und in gleichförmigen Umgebungen (wie Flugzeugen und Bahnen) super. Variierende Klangquellen wie Stimmen aber kommen nur wenig gedämpft beim Hörer an.

Im Gegensatz zu den Sony WH-1000XM3 lässt sich auch eine Powerbank mit USB-C zum Aufladen verwenden. Sinnvoll, wenn die nächste Steckdose zu lange zu weit weg ist.

Auch wenn die bisherigen Punkte schon ein Strauß von Argumenten für die Lagoon sind: das wars noch nicht. Und auch wenn der kommende Teil nichts mit dem Klang zu tun hat, er macht so unglaublich viel Spaß: Die Lagoon haben keinerlei LEDs an der Außenseite. Dafür aber Lichtbänder innen in den Hörmuscheln. Die sorgen dafür, dass der Status ablesbar ist. Von so einfachen Dingen wie der Orientierung des Kopfhörers (die rechte Ohrmuschel leuchtet rot, die Anfangsbuchstaben der Worte sind die Eselsbrücke), die linke weiß. Ob es Ladezustand, Verbindungsmodus oder Sound-Dosis (Belastung des Gehörs kumuliert über den Tag) ist: Alle Infos lesen sich über das Light Guide System ab.

Preis:

 EUR 399,- direkt bei beyerdynamic.

Fazit:

EUR 399,- sind ein Premium-Preis. Allerdings auch für ein Premium-Produkt. Verarbeitung, Klang, Technik: Das macht Spaß. Einzig AptX HD wäre noch ein Wunsch. Wer unterwegs mit einem iPhone oder iPAD Musik hört, der hat davon aber sowieso keinen Vorteil. Als reiner ANC-Kopfhörer, der auch ohne Musik Umgebungslärm weghält, empfehlen sich eher die - klanglich deutlich langweiligeren - Bose QCxx.

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