Navigation und die Verkümmerung des Pfadfinder-Gens

Eigentlich wollte ich nicht jeden Beitrag mit „ich kann mich noch so gut erinnern“ anfangen, aber auch beim Thema Navigation ist die Historie durchaus interessant.

Anfang des Jahres 1999 ergab sich die Möglichkeit, aus dem Firmenfahrzeug eines befreundeten Geschäftsführers für den Schnäppchenpreis von DM 1000,- ein Philips CARIN-Festeinbau-Navigationssystem zu bekommen. Die Diskussionen über Sinn und Unsinn einer solchen Investition mit der Haushaltsfinanzministerin waren ähnlich zäh wie die Abstimmgespräche der großen Koalition, allerdings effektiver: die Gelegenheit wurde nicht ausgeschlagen. Punkt.

Schon damals, lange vor dem ersten Gedanken an mobile Navigationsgeräte, stellten sich schnell zwei Dinge heraus:

Derjenige, der am lautesten schreit, weil er etwas für sinnlos erachtet, nutzt es insgeheim am häufigsten (der so genannte McDonalds-Effekt). Deutlich zu erkennen an diversen Diskussionen der Art „Schatz, heute brauch ich das große Auto!“ „Warum?“ „Ich muss doch nach <setze beliebigen Ort, bevorzugt solche, die eigentlich fast zu Fuß erreichbar sind>... und da brauche ich das Navi!“.

Ebenfalls zu beobachten: die langsam, aber stetig nachlassende Fähigkeit, sich ohne ein Navigationssystem zurecht zu finden. Zwanzig mal bin ich den Weg zu einem Freund in seine neue Wohnung bereits gefahren... sollte ihn also fast im Schlaf kennen. Beim 21. Mal führt eine intensivere Diskussion mit oben erwähnter Haushaltsfinanzministerin dazu, dass das Navigationssystem bzw. sein Gebrabbel in den Hintergrund gedrängt wird. Und nach ungefähr zwei Kilometern fällt dann auf, dass hier etwas nicht stimmen kann: Diese Umgegend ist definitiv unbekannt.

Nun sind wir im Jahr 2007, und wer heutzutage noch nicht mit einem Navigationssystem ausgerüstet ist, der ist quasi unterbemittelt. Meine Lieblingssicht auf diese Tatsache ist der allmorgendliche Blick in die Cockpits der überholenden Fahrzeuge auf der Autobahn (habt Ihr auch manchmal das Gefühl, dass Ihr die einzigen seid, die die Geschwindigkeitsbeschränkungen nur über die unkritischen 10 Prozent überschreiten einhalten?): Mehr als 50 Prozent der Fahrzeuge tauchen ihre Fahrer in ein schummriges, geisterhaftes Licht, dessen Quelle schnell das kleine Display eines Pocket PCs, PNAs, TomTom GOs etc. identifiziert ist.

Kein Discounterprospekt mehr ohne irgendein Navigationsgerät, die Regale der PDAs in Elektro- und Technikmärkten sind lange ersetzt durch eine schier unüberschaubare Menge an Navigations-Geräten... und da war es wieder: Das Wort "unüberschaubar". Wenn der Markt einmal ein Thema als potentiell umsatzbringend identifiziert hat, dann wird es bis zum Überquellen der Regale bedient. Selbst Traditionshersteller wie Sony, die mit dem Thema bisher so viel zu tun hatten wie Kurt Beck mit einer Kanzlerkandidatur, schliessen heute die vermeintliche Lücke in ihrem Produktportfolio.

Einer der Effekte, die den Windows Mobile-Markt in den vergangenen Jahren zum Brummen gebracht haben, kehrt sich nun ins Gegenteil um. Die Umsatzzahlen von Windows Mobile Geräten in Europa waren rasant in die Höhe geschossen, als das Thema Navigation langsam Einzug in die Köpfe der "Ottonormalfahrer" hielt, der Kundenschicht, die alles andere als bereit war, tausende von DM oder Euro in ein Festeinbau-Navi zu investieren. Jeder Discounter und Internetversender hatte plötzlich einen Pocket PC mit Navigationssystem im Programm, und die Kunden stürzten sich darauf wie Verdurstende auf ein Glas Wasser... und den Verkaufszahlen - bezogen auf Windows Mobile-Lizenzen - stand dies gut zu Gesicht.

Gut: Manöverkritik. Genau diese Nutzerschicht ist es, die zu einem nicht unerheblichen Teil die Technik-Affinität nicht hat, die den homo mobilius, also den Hardcore-Mobilgerätnutzer definieren. Navigation? Ja, gerne, wenn man mal in unbekannte Gefilde fährt, aber doch nicht beim regelmässigen Weg zur Arbeit/dem Einkaufen/zum Kegeln/.... Und da rächt sich die Tatsache, dass die Navigation auf einem PDA nur eine Anwendung unter vielen ist und manuell installiert werden muss. Ich weiss nicht, wie oft ich in der Vergangenheit Mails und Anrufe bekommen habe "Ich hab da damals bei ALDI einen Yakumo Delta GPS gekauft, und jetzt ist alles weg! Ich muss doch navigieren....!". Windows Mobile in einer älteren Version als 6 hat nun mal das Problem, dass alle Programme und Einstellungen im RAM sind und damit stromabhängig. Und eine gewisse Inkontinenz hat jede Batterie... einen Monat ohne Netzteil und ein PDA ist auch ohne Nutzung so jungfräulich wie ein ... [was darf man an dieser Stelle eigentlich heute politisch korrekt noch schreiben?].

Die Tendenz geht in Richtung der "Personal Navigation Assistants", der PNAs. Kleine, auf CE .NET (der Grundlage u.a. auch für Windows Mobile) basierende Geräte, die nur eines machen: Navigieren. Akku leer? Kein Problem, schnell ans Netz und schon startet das Navi. Und die Lösung hat gar noch einen echten, lebensnahen Vorteil: Den PDA/das Smartphone hat man immer dabei und ist so eher in Versuchung, es zur Navigation zu nutzen. Der PNA muss extra mitgenommen werden... und so führt die angeborene Faulheit der Bewegungsoptimierungstrieb des Menschen dazu, dass er das nur tut, wenn er es wirklich braucht ... und so doch wieder das Auge für die Umgebung und die Wege zu seinen Zielen schärft.

Kratzen kann mich das allen schon gar nicht mehr. Ich gebe mir nicht mehr die Blösse und hänge meinen PDA mühsam an die Bordstromversorgung und kopple mein Bluetooth-GPS. Ich nutze einen HTC TyTN II. :-D

Dieser Beitrag wurde geschrieben von am Mittwoch, 12. Dezember 2007 um 19:21 und eingeordnet unter Blog , Navigation , Windows Mobile , Windows Phone .

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